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Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt: LSBTI*Senior*innen und Demenz

Von: Claudia Pohl

 

Eine besondere Herausforderung für Pflege und Nahestehende.

Meine Oma Hedwig ist 73 Jahre alt und lesbisch. Seit 1985 lebt sie mit der fünf Jahre älteren Freundin Luisa in einem Haus zusammen. Vor einiger Zeit wurde Luisa immer vergesslicher und verkannte alltägliche  Situationen. Alle Anzeichen wiesen auf die Diagnose Demenz hin. Diese wurde durch neurologische und radiologische Untersuchungen auch bestätigt. Beide waren sehr betroffen, sie waren immer viel unterwegs, hatten viel Besuch und Austausch in queeren Netzwerken, mit denen sie ihre kulturellen Interessen teilten.   

Meine Oma ist mit der neuen Situation sehr überfordert. Als Partnerin einer dementen Frau übernimmt sie nicht nur die rechtliche Betreuung, sondern steuert alle Pflege- und Betreuungsabläufe und pflegt noch aktiv mit. Sie benötigt unbedingt Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst. Das ist nicht so einfach, Luisa lehnt Pflege durch Männer ab und die weiblichen Pflegekräfte ziehen bei der Pflege über Ihre Sexualität her oder lehnen eine Berührung ab. Ich möchte gerne helfen und weiß nicht wie? Was tue ich, wenn Luisa mich als Enkel auch ablehnt? Wie kann ich einen ambulanten Pflegedienst finden, die nicht nur Heteros, sondern auch Menschen mit anderen sexuellen Interessen pflegen? Wie gehen wir mit dieser Ablehnung um?

 

Tipps von der Expertin

Ältere lesbische, schwule, bi*,  trans*und inter* LSBTI* sind in unserer Gesellschaft kaum sichtbar und werden nur selten gesehen. LSBTI*Senior*innen  mit einer Demenzerkrankung stehen da vor besonderen Herausforderungen. Sie erleben, wie alle Menschen, die unter vaskulären Demenzen oder einer Alzheimer -Demenz leiden, eine Vielfalt von Symptomen. Es beginnt mit dem Nachlassen des Gedächtnisses (Verlust des Kurzzeitgedächtnisses), Beeinträchtigung der Denkfähigkeit und Aufmerksamkeit, der Kommunikation und Sprache, Verlust von logischem Denken und Urteilsvermögen und Störungen in der visuellen Wahrnehmung. Mit der Zeit vermindert sich die Fähigkeit, alltägliche Aktivitäten aufrecht zu erhalten.

Jeder Mensch ist anders und individuell. LSBTI*Senior*innen sind durch vielfältige Lebensentwürfe geprägt. Jedes individuelle Leben hat auch Auswirkungen auf die Demenz. Beispielsweise wuchsen LSBTI* Menschen in einer Zeit heran, in der ihr Lebensentwurf als unnatürlich, falsch, abweichend oder krank angesehen wurde. Dies wurde zur Grundlage einer Diskriminierung, Angst und Scham und kann sich aufgrund einer Demenz noch verstärken.

Hindernisse in der häuslichen Pflege von LSBTI*Senior*innen  mit Demenz

  • LSBTI* Senior*innen nehmen ungern Kontakt zu Dienstleistern auf, weil sie negative Erfahrungen mit Institutionen und Autoritätspersonen gemacht haben.
  • Pflegepersonal mit unterschiedlich kulturellen Hintergründen, Wissens- und Erfahrungsstufen lehnt die Pflege und Betreuung ab.
  • LSBTI* Senior*innen leben heute noch im Gefühl von Scham und Angst,
  • sie ziehen sich in die Wohnung zurück und es besteht die Gefahr der Entwicklung einer Depression.
  • LSBTI* erleben Verlust von selbstbestimmten Lebensentwürfen und Abhängigkeiten.
  • In der Demenz wird möglicherweise früheres vorsichtiges Verhalten vergessen und die sexuelle Identität versehentlich enthüllt.
  • Erinnerung und Festhalten an alte heterosexuelle Beziehungen – Ablehnung der aktuellen Partner*innen.

So können Nahestehende und ambulante Pflegedienste LSBTI*Senior*innen mit Demenz unterstützen

Wenn LSBTI* Senior*innen Pflege-Dienstleistungen in Anspruch nehmen, ist dem Pflegepersonal oft nicht bewusst, dass es sich um Menschen mit vielfältigen Lebensentwürfen handelt. Partner*innen, die mit an Demenz erkrankten LSBTI* zusammenleben, sollten offen mit dem Pflegepersonal reden und gemeinsam einen individuellen dem Lebensentwurf entsprechenden Pflegeprozess erarbeiten.

Mittlerweile rücken Themen wie LSBTI*, Alter und Demenz immer mehr in den Fokus. Unterstützungen bieten eine Vielzahl von regionalen Interessenverbänden, die auch Beratung und Unterstützung anbieten.

Die Online-Pflege-und Seniorenberatung bietet zu diesem Thema am Donnerstag, den 24. September 2020 ab 14:30 Uhr einen Chat mit einer Expertin aus der Pflegeberatung an. Teilnehmer*innen können auf der Webseite AWO-Pflegeberatung  einfach dem Expertenchat  beitreten oder schon im Vorfeld eine Frage stellen.

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