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Hungrig in den Unterricht?

Von: Anna Droste-Franke, Dieter Eckert

 

Das Bildungs- und Teilhabepaket (kurz BuT) wurde von der Bundesregierung im April 2011 als Teil eines Kompromisses eingeführt, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr zuvor festgestellt hatte, dass die Regelbedarfe im SGB II - insbesondere für Kinder und Jugendliche - zu niedrig bemessen sind. Das Paket umfasst Leistungen für die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in Schulen und Kitas, Kita- und Schulausflüge, Schülerbeförderungskosten, Nachhilfe, Schulbedarf sowie für Sport und Kultur außerhalb der Schule.    

 

Antragstellung muss unbürokratischer ausgestaltet sein
Seit Jahren nimmt nur ein geringer Prozentsatz der berechtigten Kinder und Jugendlichen die ihnen zustehende Leistungen für Bildung und Teilhabe nach dem SGB II in Anspruch.

Bereits der zweite Zwischenbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hatte auf Basis der Auswertungen des statistischen Bundesamtes festgestellt, dass bundesweit pro Monat rund 14,7 Mio. Euro an Bürokratiekosten für die BuT-Mittel in den Antragsbehörden entstehen. Hinzu kommen rund 11 Mio. Euro an Verwaltungskosten für die Leistungserbringer.

Die AWO fordert deshalb seit Langem, einen bundesweiten Globalantrag einzuführen, bei dem mit der Beantragung von Arbeitslosengeld II dem Grunde nach auch die Bedarfe für Bildung und Teilhabe beantragt werden. Bisher werden nur die Leistungen für den Schulbedarf ohne gesonderten Antrag gewährt.

 

Höhe der Leistungen muss dringend angepasst werden
Die Höhe der Leistungen für Bildung und Teilhabe ist viel zu niedrig angesetzt und bedarf der Überarbeitung. So ist die Höhe des Schulbedarfspaketes mit derzeit 100 Euro deutlich zu niedrig bemessen, wie eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Evangelischen Kirche im Auftrag der niedersächsischen Diakonie und der hannoverschen Landeskirche aus dem Jahr 2016 zeigt: Pro Schuljahr fallen im Durchschnitt Kosten in Höhe von mindestens 150 Euro an.

 

Je nach Jahrgangsstufe schwanken die durchschnittlichen Schulbedarfskosten pro Schuljahr stark. Am höchsten sind die Kosten im Einschulungsjahr, weil dann z. B. Ranzen, Hefte und Schreibsachen erstmals angeschafft werden müssen. Dafür fallen den Berechnungen zufolge 300 Euro an. Wechselt das Kind nach der fünften Klasse an eine weiterführende Schule, wird es mit rund 350 Euro sogar noch teurer. Auch die Leistungen für Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben geht mit 10 Euro monatlich völlig an der Realität vorbei und entfaltet entsprechend nur begrenzt Wirkung. Dass der Betrag nicht ausreicht zeigt sich schnell, sobald ein Kind z. B. in mehr als einem Verein Mitglied ist, oder Sportbekleidung und Ausrüstungsgegenstände finanziert werden müssen. Von Ferienfreizeiten werden Kinder tageweise abgemeldet, wenn kostenpflichtiger Ausflüge stattfinden, individuelle Freizeitaktivitäten, wie ein Schwimmbadbesuch mit der Familie, werden vom Teilhabebedarf ebenfalls nicht abgedeckt.  

 

Ausweitung der Schüler-Lernförderung und Streichung des Eigenanteils bei der  gemeinschaftlichen Mittagverpflegung
Derzeit besteht ein Anspruch auf Lernförderung nur, sofern absehbar ist, dass das wesentliche Lernziel nach Bestätigung der Schule erreicht werden kann. In der Praxis führt das mancherorts zu der paradoxen Situation, dass Lernförderung nur im 2. Halbjahr gewährt wird. Sowohl eine frühzeitige Lernförderung sowie eine Nachhilfe mit dem Ziel der Notenverbesserung oder zum Erreichen eines bestimmten Schulabschlusses für eine bessere Schulartempfehlung scheiden damit aus. Nach Ansicht der AWO darf der Zugang zu Nachhilfeunterricht nicht an die Bedingung einer Versetzungsgefährdung gebunden sein. Die Voraussetzungen für eine außerschulische Förderung durch Nachhilfe müssen vielmehr deutlich gelockert werden, damit auch andere Lernziele mit der Nachhilfe unterstützt werden können.
Bei der Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in Kitas oder Schulen wird derzeit ein Eigenanteil von einem Euro je Schultag angerechnet. In der Praxis entsteht dadurch ein sehr hoher Verwaltungsaufwand zur Abrechnung des Eigenanteils. Die damit verbundenen Verwaltungskosten zur Geltendmachung und Einziehung stehen in keinem mehr sinnvoll zu begründen Verhältnis zu diesem geringen Betrag.

 

Die AWO fordert, das Bildungs- und Teilhabepaket grundlegend zu reformieren
Die AWO sieht es als dringlich an, die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets bedarfsgerecht zu reformieren und bürokratische Hürden abzubauen, damit die Leistungen besser bei Kindern und Jugendlichen ankommen. Langfristig erachtet die AWO eine Rückführung dieser Bedarfe in die Regelbedarfe als sinnvoll. Anstelle dessen sollte eine armutsfeste Kindergrundsicherung geschaffen werden, um Kinder endgültig aus dem SGB II-Bezug herauszuholen.

Crowdfunding für's Mittagessen: Kinderfonds für schnelle und unbürokratische Unterstützung

AWO Träger der Kinder- und Jugendhilfe sind häufig mit Schicksalen konfrontiert, die mit einem finanziellen Engpass für Eltern verbunden sind. Diese können häufig den Essensbeitrag oder sogar den Elternbeitrag für die Betreuung ihrer Kinder nicht mehr tragen und müssen das Kind vom warmen Mittagessen oder aus der Kita abmelden.

 

Für solche Notlagen braucht es unbürokratische Lösungen, die den Mitarbeiter*innen Zeit geben, eine dauerhafte Finanzierung (staatliche Mittel, Patenschaften etc.) zu finden, ohne die Kinder aus den bereits bestehenden Angeboten ausschließen zu müssen.

 

Der AWO Bezirksverband Unterfranken e. V. hat in Kooperation mit einer Volksbank die Crowdfunding-Aktion „Warmes Mittagessen für bedürftige Kinder“ eingerichtet. Dieser erste Aufruf sicherte bereits über 3.000€ und endete Mitte August. Der Spendenfonds wird aber weiterhin befüllt. Der Spendentopf soll unbürokratisch und anonym bedürftige Kinder aus den AWO Einrichtungen unterstützen – etwa für warmes Mittagessen, Elternbeiträge oder Ausflüge und andere Aktivitäten, für die in Not geratene Eltern zeitweise nicht aufkommen können und staatliche Unterstützungsleistungen – etwa aus dem Bildungs- und Teilhabepaket – nicht ausreichen oder der Bescheid zu lange auf sich warten lässt.

 

Es soll eine Übergangslösung gefunden werden, bis öffentliche Hilfen greifen und Kindern weiterhin die Teilhabe am Mittagessen oder sogar die Betreuung in den Einrichtungen ermöglicht werden. Mit dieser Aktion sollen Ausgrenzung und Stigmatisierung  der Kinder vermeiden werden.

 

Dies ist ein Blogpost im Rahmen des AWO-Wahlcountdowns 2017. Die Wochen vor der Wahl begleitet die AWO mit ihrem Wahlcountdown: 12 Forderungen an die Politik, eingebettet in 12 Themenwochen. Dieser Blogpost ist Teil der Themenwoche "Bildung und Erziehung".

Alle Themenwochen des Wahlcountdowns gibt es hier.

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